Zwangsheirat

23.05.2024

Sie freut sich nicht. Früher war es anders, da sehnte sie sich schon früh auf Ferien in diesem Land und war aufgeregt. Heute ist keine Freude vorhanden. Sie hatte in den letzten Wochen wiederholt Telefongespräche der Eltern mit den Verwandten mitbekommen. Und sie musste mit ihrer Mutter Kleider kaufen gehen, die nichts Gutes vermuten liessen. Schöne Kleider - doch es waren Hochzeitskleider und sie merkte, dass sie verheiratet werden sollte.

Gefragt werden die jungen Menschen in diesen Situationen nicht. Allenfalls informiert und vorbereitet, denn ganz ohne Vorbereitung geht es nicht. Die Vorbereitungen beinhalten jedoch deutliche Zeichen, dass ein Ausweichen, eine Ablehnung nicht möglich ist. Druck wird aufgebaut. An Selbstbestimmung ist nicht zu denken.

Wenn Selbstbestimmung schon bei der Eheschliessung nicht gefragt ist, wie sollen sie dann bei nachfolgenden Erwartungen zum Tragen kommen? Die Ehe gilt dann für den Rest des Lebens und die Selbstbestimmung ist entsprechend lebenslang futsch. Sexualität, Kinderzeugung und was auch immer gefordert wird folgt nach dem gleichen Muster. Die zwangsverheiratete Person – es sind nicht nur Frauen – ist der Unterwerfung ausgeliefert und hat sich zu fügen.

In der Schweiz ist es ein Straftatbestand der Nötigung (vgl. Art 181a StGB) und die Betroffenen haben Anspruch auf Leistungen der Opferhilfe. Eher verbreitet ist die Vorstellung, dass Zwangsheirat in der Schweiz kaum vorkomme. Von der Fachstelle Zwangsheirat werden dagegen viele Eheschliessungen unter Druck registriert – im Jahr 2022 seien es 344 Zwangsheiraten gewesen.

Wenn betroffene Menschen mit der Opferberatung eff-zett das fachzentrum Kontakt aufnehmen und berichten, dass sie befürchten, gegen ihren Willen verheiratet zu werden, bieten wir Unterstützung in Form einer zeitnahen, vertraulichen Beratung. In welcher Form das Gespräch stattfindet (telefonisch, vor Ort oder via Onlineformat) ist abhängig vom Wunsch der betroffenen Person.
Es ist äusserst wichtig, dass sich eine von Zwangsverheiratung gefährdete Person von der zuständigen Fachperson verstanden und ernst genommen fühlt. Nur so wird sie sich auf einen weiteren Beratungs- und Begleitprozess einlassen. 

Der Fokus der Beratung liegt auf der Stärkung der betroffenen Person. Das heisst, es werden gemeinsam Möglichkeiten gesucht und besprochen. Diese sollen sie darin unterstützen, die bestehende Situation positiv zu beeinflussen. Optionen sammeln und besprechen fördert die Selbstbestimmung, weil es eine Auswahl von Möglichkeiten gibt. Es ist wichtig, dass die betroffene Person selbst entscheidet, was sie angehen oder lassen möchte. Beispielsweise kann es entlastend sein, eine Eheschliessung vorläufig hinauszuzögern, weil die betroffene Person eine Ausbildung abschliessen möchte. Die dadurch gewonnene Zeit nimmt Druck und hilft, mit der betroffenen Person weitere Handlungsmöglichkeiten auszuloten.

Ebenfalls nehmen wir mit Zustimmung der betroffenen Person zeitnah Kontakt mit der nationalen Fachstelle «zwangsheirat.ch» auf. Während die Fachstelle die betroffene Person im weiteren Verlauf zum Beispiel in rechtlichem Vorgehen unterstützt, bieten wir weiterhin psychosoziale Beratung und Begleitung an. In der Opferberatung sind wir es gewohnt, komplexe Fragestellungen schrittweise und sorgfältig anzugehen. Das Aufsuchen unserer Beratungsstelle ist für Ratsuchende oft ein wichtiger Schritt im Wiedererlangen der eigenen Handlungsfähigkeit.