Mehr Forschung für frauenspezifische Erkrankungen

08.05.2023

Mitte März 2023 hat der Ständerat dem Bundesrat den Auftrag erteilt, frauenspezifische Krankheiten und Beschwerden gezielter erforschen zu lassen. Hervorgegangen ist das Anliegen aus zwei Petitionen der vergangenen Frauensession. Eine der zu erforschenden Krankheiten ist die Endometriose – ein Fachgebiet unserer Sexualberaterin Simone Haug. Sie erklärt im Interview die wichtigsten Aspekte dieser Erkrankung, von der rund 10 % aller Frauen betroffen sind

Was ist Endometriose?

Endometriose ist eine gutartige, aber langwierige Krankheit, bei der sich Schleimhaut aus der Gebärmutter im Körper verteilt. Betroffen sind meist Darm, Bauchraum oder Zwerchfell, oft aber auch umliegende Organe wie Eierstöcke, Eileiter oder Vagina. Das Problem dabei ist, dass die Schleimhaut, die sich ausserhalb der Gebärmutter ablagert, genauso auf die Hormonausschüttungen des weiblichen Zyklus reagiert wie die Schleimhaut in der Gebärmutter selber. Das heisst, ein Endometrioseherd im Zwerchfell blutet ebenfalls während der Monatsblutung der betroffenen Person. Weil dieses Blut, auch wenn es nur wenige Tropfen sind, nicht richtig abfliessen kann, kommt es zu Verklebungen und später zu Verwachsungen der Organe mit ihren Nachbarorganen. Das kann zu Schmerzen und Bewegungseinschränkungen führen. Zudem sind die Endometrioseherde ausserhalb der Gebärmutter mit zusätzlichen Nerven durchwachsen und reagieren schmerzempfindlich auf die Blutungen und auf Bewegungen.  

 

 

 

Was heisst das für die betroffenen Personen?

Die Symptome einer Endometriose können sehr unterschiedlich sein. Das kann von heftigen Schmerzen bei der Menstruation, über chronische Schmerzen im Unterleib oder Rücken, bis zu Schmerzen beim oder nach dem Geschlechtsverkehr, beim Stuhlgang oder beim Wasserlösen gehen. Manche der Betroffenen leiden unter andauernden starken Blutungen, dauerhafter Müdigkeit oder wiederkehrender Übelkeit. Und bei vielen Frauen ist die Endometriose der Grund, warum es zu keiner Schwangerschaft kommt. Gleichzeitig gibt es aber auch Erkrankte, die keine Symptome haben. Weil sie so viele unterschiedliche Auswirkungen hat und sich zudem immer wieder verändern kann, ist die Endometriose schwer zu erkennen. Man nennt sie deshalb auch das Chamäleon unter den gynäkologischen Erkrankungen.

Wie kann die Krankheit trotz der verschiedenartigen Symptome erkannt werden?

Das ist in der Tat gar nicht einfach. Die Folge ist, dass Betroffene oftmals jahrelang leiden. Frauen mit starken Menstruationsschmerzen hören beispielsweise immer wieder, dass das normal sei und die Mens halt etwas weh tue. Daher hinterfragen sie eher sich selbst und die eigene Leidensfähigkeit, anstatt auf die Idee zu kommen, dass sie von einer Krankheit betroffen sein könnten. Endometriose kann zwar anhand verschiedener Verfahren erkannt werden. Aber weil sich die Endometrioseherde an so vielen Orten im Körper verstecken können, reicht eine einzige Untersuchung meist nicht aus. Es braucht das Zusammenspiel von Gespräch über das Befinden und die Symptome der Patient*in (Anamnese), Tastuntersuchungen, vaginalem Ultraschall und möglicherweise einer Magnetresonanzuntersuchung des Beckens, um eine Endometriose zu erkennen. Manchmal ist auch eine operative Bauchspiegelung nötig, um verborgene Herde hinter der Gebärmutter zu entdecken.

Der Aufwand für eine klare Diagnose ist gross, und darum werden Endometriosen manchmal lange nicht erkannt. Es kann bis zu 10 Jahre dauern, bis eine Frau eine Diagnose erhält. Und das sind lange Jahre mit vielen unerklärlichen Symptomen, die belastend sind für die Betroffenen selbst, aber auch für ihr Umfeld.

Ist Endometriose eine neue Erkrankung oder warum hat man so lange nichts davon gehört?

Das ist unklar. Um 1920 hat ein amerikanischer Gynäkologe auffällige Befunde in den Eierstöcken und am Bauchfell als «endometriale» Veränderungen beschrieben. Er prägte damit den Begriff der Endometriose. Er entwickelte auch eine Theorie, wie diese Veränderungen entstehen. Seither gab es aber - im Vergleich zu anderen Krankheitsbildern - kaum Forschung zum Thema. Das liegt einerseits daran, dass Endometriose keine tödliche Erkrankung ist, und andererseits daran, dass lange Zeit vor allem Männer in der Forschung und als Ärzte aktiv waren. Weil Männer das Leiden nicht nachvollziehen können, war der Druck für weitere Forschung entsprechend gering. Auch die Tabuisierung der Menstruation hat wohl ihren Beitrag geleistet: Wenn man nicht über die Blutung spricht, dann auch nicht über ihre Nebenerscheinungen. Es ist gut, dass die Krankheit nun ins Bewusstsein gelangt. Sie richtet nicht nur in den Körpern der Betroffenen beträchtlichen Schaden an, sondern auch in Paarbeziehungen und in volkswirtschaftlicher Hinsicht.

Was für Schäden?

Bei Endometriose können beispielsweise die Eileiter verkleben. Die Wanderung der Eizelle wird so verhindert und damit auch die Chance, dass sie auf ein Spermium trifft.  Das führt dazu, dass ein Kinderwunsch unerfüllt bleibt. Durch die Verklebungen und Verwachsungen im Körper können sich die inneren Organe nicht mehr frei bewegen, was zu Schmerzen und zu Funktionsstörungen der Organe führen kann.

In der Paarbeziehung kann es ebenfalls zu Schwierigkeiten kommen, weil Betroffene oftmals an Schmerzen beim Geschlechtsverkehr leiden. Endometrioseherde an den Haltebändern der Gebärmutter, in der Vagina oder an der Bauchhöhle werden durch die Penetrationsbewegungen des Penis gereizt und lösen blitzartige Stiche im Unterleib aus, die auch nach dem Sex noch anhalten. Eine Folge davon ist, dass sich die erkrankte Person zurückzieht und versucht, sexuelle Kontakte zum Partner zu vermeiden. Gleichzeitig fühlt sie sich schuldig, und die Konflikte mit dem Partner nehmen zu, weil beide frustriert sind. In lesbischen Beziehungen übrigens stellt sich das Problem selten, weil kein Penis da ist, der sich die Aufnahme in eine Vagina «wünscht».

Insbesondere Personen, die trotz langjähriger Beschwerden keine Diagnose haben, leiden auch psychisch stark. Beispielsweise weil sie sich dauernd fragen, ob sie einfach zu wehleidig sind. Oder weil sie das Gefühl haben, dass mit dem eigenen Körper etwas nicht stimmt, sich jedoch von niemandem ernst genommen fühlen. Einmal im Monat fast zu kollabieren vor Schmerzen und sich nicht mehr ohne Medikamente aus dem Haus zu trauen, stellt eine enorme Belastung dar. Gleiches gilt für die permanente Angst, den Partner zu verlieren, weil man keinen Sex mehr haben möchte. Die Angst vor Schmerzen beim Sex kann sogar so weit gehen, dass Frauen überhaupt keine körperliche Nähe mehr zulassen, obwohl sie sich eigentlich danach sehnen. Dies weil sie befürchten, dass Kuscheln beim Partner Lust auf Sex weckt, der dann wiederum mit Schmerzen verbunden ist. Eine mögliche Folge ist auch, dass es zum sozialen Rückzug kommt, weil man keine Energie mehr hat, um Freund*innen zu treffen.

Letztlich schlägt sich die Krankheit auch im Berufsleben nieder. Die Fehltage von Frauen an ihrem Arbeitsplatz nehmen zu, weil sie während ihrer Periode unter heftigen Schmerzen leiden und nicht arbeiten können. Oder weil sie starke Medikamente einnehmen, die ihre Konzentrationsfähigkeit beeinflussen. Bei einer Chronifizierung der Symptome kann es auch sein, dass sich die andauernden Schmerzen negativ auf das Arbeitsleben der Person auswirken. Die Energielosigkeit, die in verminderter Leistungsfähigkeit resultiert, ist ebenfalls ein Problem. All das hat Konsequenzen auf die Karriere einer Betroffenen und auch für die Volkswirtschaft.

Wie wird Endometriose behandelt?

Auch hier gibt es keine einfache Antwort. Die Behandlung muss sehr individuell an die Betroffene angepasst werden. Eine Möglichkeit ist, mittels Hormone (analog zur Antibabypille) den Zyklus der Frau zu unterdrücken, sodass es zu keinen Blutungen kommt, weder in der Gebärmutter noch in den Endometrioseherden. Die andere Variante ist die operative Entfernung der Herde mittels Bauchspiegelung. Das bedeutet lange Operationszeiten und ist leider auch keine Garantie für eine Heilung, denn die Wahrscheinlichkeit, dass sich wieder neue Endometrioseherde bilden, ist erheblich. Die konsequente Behandlung der Schmerzen und die frühe Erkennung des Krankheitsbildes sind wichtig, um einer Chronifizierung vorzubeugen.

Genauso wichtig wie hormonelle oder operative Eingriffe ist auch die indirekte Behandlung der Endometriose. Essensumstellungen, psychotherapeutische Begleitung, Physiotherapie, Osteopathie und Sexualberatung sind wichtige ergänzende Angebote, denn sie erleichtern den Betroffenen den Umgang mit ihrer Krankheit.

Endometriose-Schmerzen setzen meist mit Beginn der Monatsblutung ein und hören häufig mit der Menopause wieder auf. Wenn sich die Krankheit allerdings chronifiziert hat, dann bleiben die Symptome oft nach Ende der Menstruation bestehen und müssen weiterhin behandelt werden. 

Wie kann die Sexualberatung Betroffene unterstützen?

Ein offener Gesprächsrahmen, der es ermöglicht, Fragen und Unklarheiten zur Sexualität zu äussern, ist vielfach bereits eine grosse Erleichterung. Oft haben Betroffene Angst, den Partner zu verlieren oder als Ehefrau nicht zu genügen, weil sie aufgrund von Endometriose-Schmerzen keinen Sex mehr haben möchten. Die damit verbundenen Schuld- und Schamgefühle mit einer Fachperson besprechen zu können, kann sehr entlastend sein. Sexualität ist leider noch immer ein Tabuthema - insbesondere dann, wenn sie mit Schwierigkeiten verbunden ist. 

In einem weiteren Schritt wird den Beschwerden rund um die Sexualität auf den Grund gegangen. Wann treten sie auf? Wo sind sie lokalisiert? Gibt es Stellungen, die nicht (mehr) funktionieren? Sind die Schmerzen zyklusabhängig, gibt es bessere und schlechtere Tage für Geschlechtsverkehr? Treten die Schmerzen auch bei der Selbstbefriedigung auf? Die Antworten auf diese Fragen helfen, den eigenen Körper mit der Krankheit besser kennenzulernen und zu verstehen.

Darüber hinaus suchen wir dann nach Möglichkeiten, um Sexualität wieder genussvoll zu gestalten. Dabei lohnt es sich, den Partner miteinzubeziehen und zusammen nach Lösungen zu suchen. Hilfreich ist, wenn dem Partner Wissen zur Krankheit vermittelt wird, damit er das scheinbar willkürliche Auftreten von Schmerzen versteht und nachvollziehen kann, warum die Betroffene auf Annäherungsversuche abweisend reagiert.

In einer Sexualberatung geht es darum, die vorhandene Sexualität zu erweitern, den eigenen Körper neu kennenzulernen und anders einzusetzen. Es geht um mehr Bewegung im Becken, um Veränderungen von Bewegungsgeschwindigkeiten, um das Wechselspiel zwischen An- und Entspannung und um den Einbezug des gesamten Körpers in die Sexualität.

Wann sollte man mit der Sexualberatung Kontakt aufnehmen und wie erreicht man Euch?  

Wir sind da bei jeglichen Fragen, Anliegen oder Unsicherheiten in Bezug auf Sexualität. Dazu gehört auch, wenn jemand merkt, dass sich ihre Sexualität verändert und sie das als störend empfindet.

Wir sind telefonisch (041 725 26 40) zu Bürozeiten und per Mail (ssb@eff-zett.ch) erreichbar. Die Beratungen finden immer angezogen und ohne Berührungen zwischen den Beratungspersonen und den Klient*innen statt.

Wo finde ich Hilfe?

 

eff-zett Fachzentrum: Sexual- und Schwangerschaftsberatung

https://www.eff-zett.ch/angebot/sexual-und-schwangerschaftsberatung

 

Schweizerische Endometriosevereinigung: verschiedene Angebote von und für Betroffene

https://www.endo-help.ch/

 

Stiftung Endometriose Forschung: europaweites Netzwerk für Mediziner*innen, unterstützt die Forschung und zertifiziert die Fachzentren

https://www.endometriose-sef.de/

Liste der Fachzentren

https://www.endometriose-sef.de/patienteninformationen/endometriosezentren/

 

«Hysterical Sisters» - ein atmosphärischer Kurzfilm über Endometriose der österreichischen Filmemacherin Chiara Schreder

https://www.youtube.com/watch?v=NxDLpiZmz2A

 

Quellen:

 

Bernays, V., Schwartz, A. K., Geraedts, K., Rauchfuss, M., Wölfler, M. M., Haeberlin, F., von Orelli,

S., Eberhard, M., Imthurn, B., Fink, D., Imesch, P., & Leeners, B. (2020). Qualitative and

quantitative aspects of sex life in the context of endometriosis: a multicentre case control

study. Reproductive BioMedicine Online, 40(2), 296–304.

 

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weiblichen Genitalorgane. Charité-Compendium Gynäkologie, 127–156.

 

Facchin, F., Barbara, G., Saita, E., Paola, M., Roberto, A., Fedele, L., & Vercellini, P. (2015). Impact

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Journal of Psychosomatic Obstetrics & Gynecology.

 

Hämmerli, S., Kohl-Schwartz, A., Imesch, P., Rauchfuss, M., Wölfler, M. M., Häberlin, F., von Orelli,

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Chronic Pelvic Pain due to Endometriosis. Journal of Sexual Medicine, 17(12), 2417–2426.

 

Hummelshoj, L., Graaff, A. De, Dunselman, G., & Vercellini, P. (2014). Let ’ s talk about sex and

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