Rosario der Rosenprinz

11.03.2024

Eine bekannte Geschichte neu erzählt...

Vor Zeiten war eine Königin und ein König, die sprachen jeden Tag: "Ach, wenn wir doch ein Kind hätten!" und kriegten immer keins. Da trug sich zu, als der König einmal im Bade sass, dass ein Frosch aus dem Wasser ans Land kroch und zu ihr sprach: "Dein Wunsch wird erfüllt werden, ehe ein Jahr vergeht, wirst du einen Sohn bekommen."

Was der Frosch gesagt hatte, das geschah, und die Königin gebar einen Sohn, der war so schön, dass der König vor Freude sich nicht zu lassen wusste und ein grosses Fest anstellte. Er lud nicht bloss seine Verwandte, Freundinnen und Bekannte, sondern auch die weisen Männer dazu ein, damit sie dem Kind hold und gewogen wären. Es waren seiner dreizehn in seinem Reich, weil er aber nur zwölf goldene Teller hatte, von welchen sie essen sollten, so musste einer von ihnen daheim bleiben.

Das Fest ward mit aller Pracht gefeiert, und als es zu Ende war, beschenkten die weisen Männer das Kind mit ihren Wundergaben: der eine mit Tugend, der andere mit Schönheit, der dritte mit Reichtum, und so mit allem, was auf der Welt zu wünschen ist. Als der elfte seinen Spruch getan hatten, trat plötzlich der dreizehnte herein. Er wollte sich dafür rächen, dass er nicht eingeladen war, und ohne jemand zu grüssen oder nur anzusehen, rief er mit lauter Stimme: "Der Königinsohn soll sich in seinem fünfzehnten Jahr an einer Spindel stechen und tot hinfallen." Und ohne ein Wort weiter zu sprechen, kehrte er sich um und verliess den Saal. Alle waren erschrocken, da trat der Zwölfte hervor, der seinen Wunsch noch übrig hatte, und weil er den bösen Spruch nicht aufheben, sondern nur ihn mildern konnte, so sagte er: "Es soll aber kein Tod sein, sondern ein hundertjähriger tiefer Schlaf, in welchen der Königinsohn fällt."

Die Königin, die ihr liebes Kind vor dem Unglück gern bewahren wollte, liess den Befehl ausgehen, dass alle Spindeln im ganzen Königinnenreiche verbrannt werden. An dem Jungen aber wurden die Gaben der weisen Männer sämtlich erfüllt, denn er war so schön, sittsam, freundlich und verständig, dass alle die ihn ansahen, lieb haben mussten. Es geschah, dass an dem Tage, wo er gerade fünfzehn Jahr alt ward, die Königin und der König nicht zu Haus waren, und der Knabe ganz allein im Schloss zurückblieb. Da ging er allerorten herum, besah Stuben und Kammern, wie er Lust hatte, und kam endlich auch an einen alten Turm. Er stieg die enge Wendeltreppe hinauf, und gelangte zu einer kleinen Türe. In dem Schloss steckte ein verrosteter Schlüssel, und als er umdrehte, sprang die Türe auf, und sass da in einem kleinen Stübchen ein alter Mann mit einer Spindel und spann emsig Flachs.

"Guten Tag, du altes Väterchen" sprach der Königinsohn "was machst du da?" - "Ich spinne" sagte der Alte und nickte mit dem Kopf. "Was ist das für ein Ding, das so lustig herumspringt?" sprach der Knabe, nahm die Spindel und wollte auch spinnen. Kaum hatte er aber die Spindel angerührt, so ging der Zauberspruch in Erfüllung und er stach sich damit in den Finger. In dem Augenblick aber, wo er den Stich empfand, fiel er auf das Bett nieder das da stand, und fiel in einem tiefen Schlaf.

Und dieser Schlaf verbreite sich über das ganze Schloss: die Königin und der König, die eben heimgekommen waren und in den Saal getreten waren, fingen an einzuschlafen und der ganze Hofstaat mit ihnen. Da schliefen auch die Pferde im Stall, die Hunde im Hofe, die Tauben auf dem Dache, die Fliegen an der Wand, ja, das Feuer, das auf dem Herde flackerte, ward still und schlief ein, und der Braten hörte auf zu brutzeln, und die Köchin, die mit dem Küchenmädchen schimpfte, weil sie etwas versehen hatte, wurde still und schlief ein. Und der Wind legt sich, und auf den Bäumen vor dem Schloss regte sich kein Blättchen mehr. Rings um das Schloss aber begann eine Dornenhecke zu wachsen, die jedes Jahr höher wurde und endlich das ganze Schloss umzog und darüber hinauswuchs, dass gar nichts davon zu sehen war, selbst nicht die Fahne auf den Dach.

Es ging aber die Sage in dem Land von dem schönen schlafenden Rosenprinz, denn so wurde der Königinsohn genannt, so dass von Zeit zu Zeit Königinnentöchter kamen und durch die Hecke in das Schloss dringen wollten. Es war ihnen aber nicht möglich, denn die Dornen, als hätten sie Hände, hielten fest zusammen, und die Maiden blieben darin hängen, konnten sich nicht wieder losmachen und starben eines jämmerlichen Todes.

Nach langen Jahren kam wieder einmal ein Königintochter in das Land, und hörte, wie ein alter Mann von der Dornenhecke erzählte, es sollte ein Schloss dahinter stehen, in welchem ein wunderschöner Königinsohn, Rosario der Rosenprinz genannt, schon seit hundert Jahren schliefe, und mit ihm der König und die Königin und der ganze Hofstaat. Sie wusste auch von ihrer Grossmutter, dass schon viele Königstöchter gekommen wären und versucht hätten, durch die Dornenhecke zu dringen, aber sie wären darin hängengeblieben und eines traurigen Todes gestorben. Da sprach die Maid: "Ich fürchte mich nicht, ich will hinaus und den schönen Rosario sehen." 

Der gute Alte mochte ihr abraten, wie er wollte, sie hörte nicht auf seine Worte. Nun waren aber gerade die hundert Jahre verflossen, und der Tag war gekommen, wo Rosario wieder erwachen sollte. Als die Königintochter sich der Dornenhecke näherte, waren es lauter grosse schöne Blumen, die taten sich von selbst auseinander und liessen die Maid unbeschädigt hindurch, und hinter ihr taten sie sich wieder als Hecke zusammen. Im Schlosshof sah sie die Pferde und scheckigen Jagdhunde liegen und schlafen, auf dem Dach sassen die Tauben und hatten das Köpfchen unter den Flügel gesteckt. Und als sie ins Haus kam, schliefen die Fliegen an der Wand, die Köchin in der Küche hielt noch den Zeigfinger in die Luft um zu schimpfen und der Knecht sass vor dem schwarzen Huhn, das sollte gerupft werden.

Da ging sie weiter und sah im Saale den ganzen Hofstaat liegen und schlafen, und oben bei dem Throne lag die Königin und der König. Da ging sie noch weiter, und alles war so still, dass sie ihren Atem hören konnte, und endlich kam sie zu dem Turm und öffnete die Türe zu der kleinen Stube, in welcher der Rosenprinz schlief. Da lag er und war so schön, dass sie ihre Augen nicht abwenden konnte, sie bückte sich und gab ihm einen Kuss.

Wie sie ihn mit dem Kuss berührt hatte, schlug Rosario die Augen auf, erwachte, und blickte sie ganz freundlich an. Da gingen sie zusammen herab, und die Königin erwachte und der König und der ganze Hofstaat, und sahen einander mit grossen Augen an. Und die Pferde im Hof standen auf und rüttelten sich; die Jagdhunde sprangen und wedelten; die Tauben auf dem Dache zogen das Köpfchen unterm Flügel hervor, sahen umher und flogen ins Feld; die Fliegen an den Wänden krochen weiter; das Feuer in der Küche erhob sich, flackerte und kochte das Essen; der Braten fing wieder an zu brutzeln; die Köchin schimpfte das Mädchen aus und der Knecht rupfte das Huhn fertig.

Und da wurde die Hochzeit der Königintochter mit dem Rosenprinz in aller Pracht gefeiert, und sie lebten vergnügt bis an ihr Ende.

Frei nacherzählt von Simone Haug, Sexologin am eff-zett Fachzentrum.